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Sozialpolitik, Sozialsysteme
Volksabstimmung vom 25. November 2018: «Allgemeiner Teil des Sozi-alversicherungsrechts»
Das Gesetz zum „Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)“ (Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten) wurde im Frühjahr 2018 vom National- und Ständerat bewilligt. Es ermöglicht Sozialversicherungen, Versicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Dagegen wurde im April das Referendum ergriffen. Dieser Artikel erklärt, was das Gesetz ändert und welches die Argumente der Befürworter und Gegner eines Referendums sind.
Ausgangslage
Die Gesetzesänderung wurde ausgearbeitet, um die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte, klarere und präzisere gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten zu schaffen. 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass bei einer Observation durch die Unfallversicherung die gesetzliche Grundlage nicht gegeben ist. Ebenfalls hat das Bundesgericht in einem konkreten Fall eines IV-Rentners die fehlende Gesetzesgrundlage für eine Überwachung aufgezeigt und angeordnet, dass vorläufig keine Observationen mehr durchgeführt werden sollten.
Folglich haben sich National- und Ständerat im März 2018 auf die neue gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten geeinigt um den Missbrauch der Sozialversicherungen zu bekämpfen. Die Zahlen aus dem Jahr 2017 zeigen, dass von gut 432'000 Leistungsbezügern, die Invalidenversicherung bei 2130 Fällen wegen Missbrauchsverdacht ermittelt hatte. Davon wurden bei 210 Personen Observationen angeordnet, wobei in 170 Fällen ein unrechtmässiger Bezug von IV Leistungen erwiesen werden konnte. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat in seinem Bericht hochgerechnet, dass durch die aufgedeckten Missbrauchsfälle rund 60 Millionen Franken an Rentenleistungen eingespart werden konnte. Die Einsparungen wurden auf Basis eines durchschnittlichen Betrages einer IV-Rente und einer Bezugsdauer bis zum ordentlichen AHV-Rentenalter berechnet. Die Observationen kostete dem BSV im Jahr 2017 1,3 Millionen Franken.
Was wird geändert?
Änderungen im Gesetz
Das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) wurde am 16. März 2018 geändert. Dadurch werden Observationen bei Unfall- und Krankenversicherten sowie bei Arbeitslosen rechtlich wieder zulässig. Das Gesetz besagt, dass Versicherungen Observationen selber veranlassen und dabei Bild- und Tonaufzeichnungen machen können, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die versicherte Person unrechtmässig Leistungen bezieht. Eine richterliche Beurteilung braucht es dafür nicht. Nur wenn technische Geräte zur Standortbestimmung eingesetzt werden, muss die Versicherung dazu einen Antrag beim zuständigen Versicherungsgericht stellen. Beispielsweise wenn GPS-Tracker oder gar Drohnen zum Einsatz kommen sollen. Falls die Versicherung jedoch eine Drohne nicht dazu einsetzt, den Aufenthalt der überwachten Person zu bestimmen, braucht es auch dafür keinen richterlichen Beschluss.
Durch das Gesetz wird ebenfalls verändert, dass bei einer strafrechtlich verurteilten Person auch dann die Rentenzahlungen eingestellt werden, wenn die Person sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht. Im aktuellen Gesetz, darf die Rentenzahlung erst eingestellt werden, wenn sich der oder die Verurteilte tatsächlich im Straf- oder Massnahmenvollzug befindet.
Des Weiteren sollen die Abläufe bei der Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs verbessert werden. Dabei sollen neue Bestimmungen eingeführt werden, welche die Einstellung von Leistungen bei begründeteren Verdacht auf unrechtmässige Leistungserwirkung oder bei Meldepflichtverletzung regeln.
Im Rahmen des Freizügigkeitsabkommen der Schweiz und EU müssen ebenfalls einige Punkte aktualisiert werden. Für die Koordinierung der internationalen Verhältnisse, ist eine ausdrückliche Kodifizierung der innerschweizerischen Zuständigkeiten notwendig. Ebenfalls werden die Papierformate für den grenzüberschreitenden Datenaustausch durch einen elektronischen Datenaustausch abgelöst. Dafür schafft das Gesetz ebenfalls eine neue Grundlage, welche die Zuständigkeiten, die Errichtung von Informationssystemen und die Datenbekanntgabe regeln.
Referendum
Stimmt das Volk nein, so wird das ATSG nicht erneuert. Wird wird die neue Gesetzesvorlage angenommen, so treten die oben erwähnten Änderungen in Kraft.
Argumente der Befürworter der Gesetzesänderung
Versicherungsmissbrauch
Wie bereits bei der Ausgangslage erläutert, konnte durch die Aufdeckung der Missbrauchsfälle rund 60 Millionen Franken eingespart werden. Die Befürworter des Gesetzes möchten durch die Observation von IV-Bezügern, Unfall- und Krankenversicherten sowie von Arbeitslosen dem Versicherungsmissbrauch weiter entgegenwirken.
Da die Versicherungen staatliche Leistungen übernehmen, sollen sie diese Leistung selber übernehmen können.
Tiefere Kosten für Sozialhilfeleistungen
Durch das neue Gesetz sollen Kosten eingespart werden. Versicherungen könnten Betrügereien selber aufklären und in Einzelfällen das Recht erhalten, Kürzungen der Leistungen vorzunehmen.
Klare und einheitliche Regelung für Sozialdetektive
Versicherungsdetektive sollen neu eine Bewilligung des Bundesrates benötigen, damit sie ihre Arbeit ausführen dürfen. Eine Bewilligung sollten nur diese Detektive erhalten, welche eine Polizeischule oder gleichwertige Ausbildung abgeschlossen und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung haben. Diese einheitliche Regelung soll ein Fortschritt für die Versicherten sein. Des Weiteren müssten die Betroffenen Personen auf jeden Fall informiert werden, wenn sie beobachtet wurden und sich der Verdacht nicht erhärten liess. Ausserdem haben die Versicherten das Recht auf Akteneinsicht und auf die Vernichtung des Materials.
Argumente der Gegner der Gesetzesänderung
Privatsphäre
Befürworter des Referendums sprachen sich für den Schutz der Privatsphäre aus, welche sie durch das neue Gesetz in Gefahr sehen.
Verhältnismässigkeit
Kritisiert wird ebenfalls die Verhältnismässigkeit des Gesetzes. Die Befürworter des Referendums warnen vor einer übertriebenen Überwachung und kritisieren, dass Versicherungen mehr Mittel zur Überwachung erhielten als Strafverfolgungsbehörden. Ausserdem zählt Versicherungsbetrug schon länger als Straftat und sollte Sache der Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben.
Grössere Unterstützung gegen Steuerbetrug
Ein Teil der Befürworter des Referendums weisen darauf hin, dass durch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung mehr Geld an den Staat fliessen würde. Daher sollte mehr Energie darin investiert werden, anstatt Observationen gegen Sozialhilfebetrüger zuzulassen.
Literaturverzeichnis [ ein-/ausblenden ]
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Ziele der Vorlage
Die Gesetzesänderung ermöglicht es Sozialversicherungen, Versicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Dagegen wurde das Referendum ergriffen.
Was wird geändert
Bei einem Ja zum Referendum wird die Änderung im Bundesgesetz über den All-gemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) nicht erneuert. Somit wäre die Observation von Sozialversicherten durch Detektive weiterhin widerrechtlich.
Argumente dafür
Die Befürworter des Referendums möchten die Privatsphäre der Bevölkerung schützen und ein verhältnismässiges Gesetz durchbringen.
Argumente dagegen
Durch das Gesetz soll gegen Sozialhilfemissbrauch vorgegangen werden. Ausserdem werde durch das Gesetz klare und einheitliche Regeln für Sozialhilfedetektive geschaffen.
Kommentare von Lesern zum Artikel
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Peter Meier sagte November 2018 Im Text steht: "Bei einem Ja zum Referendum wird das ATSG nicht erneuert. Wird das Referendum abgelehnt, so treten die oben erwähnten Änderungen in Kraft." Dies suggeriert, dass man JA stimmen muss, wenn man GEGEN das neue Gesetz ist. Dies ist jedoch falsch. Entsprechend sind auch die Abschnitte bzgl. Argumente DAFÜR und DAGEGEN völlig irreführend. Bitte passen Sie das asap an! PS: Am Schluss des folgenden Videos wird korrekt erklärt, in welchem Fall man JA oder NEIN stimmen sollte: https://www.youtube.com/watch?v=gcINe2rOA2k |
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